Damals, erzählt Heinz Rittermeier (65), habe eine glitzernde Schicht auf den Straßen gelegen. „Als Kinder haben wir gelernt, unsere Schuhe sehr gründlich abzutreten, bevor wir eine Wohnung betraten.“ Es war der Staub von Kohle und Eisenerz. Aufgewachsen ist Rittermeier an der Bessemer Straße. „Die Industrie ist heute kaputt“, sagt er. „Aber der Glanz der Menschen ist noch nicht vergangen.“
Mit einem Stapel alter Zeitungen, Heftern, Büchern unterm Arm kommt Heinz Rittermeier nach Stahlhausen. „Meine alte Heimat!“ Es gibt wohl kaum ein historisches Detail, das Rittermeier über Thyssen, Krupp und den Bochumer Verein nicht aus dem Ärmel schütteln könnte.

Als junger Mann schrieb er Gedichte und Erzählungen über die Arbeit mit Stahl und Kohle, auch über seine Kindheit im Dunstkreis der Stahlwerke. „Die Kollegen haben natürlich gelacht. Wer las bei uns schon Gedichte?!“ Beim Bochumer Verein hatte Rittermeier eine Ausbildung zum Industriekaufmann gemacht („das Beste war, dass wir als Auszubildende das gesamte Gelände betreten durften; die anderen Arbeiter kannten in der Regel nur den Bereich, auf dem sie arbeiteten.“). Sein Vater hatte sich dort zum Schichtführer hochgearbeitet.
Rittermeier beißt die Zähne zusammen, als wir zusammen die Bessemerstraße hochlaufen. Ausgerechnet heute, bei unserem Spaziergang, regnet und stürmt es mächtig. „Genauso so ein Wetter hatten wir an meinem ersten Schultag“, sagt Rittermeier. Die Bessemerstraße hoch, links auf die Alleestraße, das war sein Weg zur Grundschule. „Als ich dann auf die Jacob-Mayer-Realschule kam, sagte ein Lehrer zu mir: ‚Dein Vater ist Stahlarbeiter und du kommst aus dem Griesenbruch. Dann gehörst du nicht hierher, sondern auf die Volksschule.‘ Wir lernten also früh die gesellschaftlichen Unterschiede kennen.“
An der Alleestraße angekommen, zeigt er auf das Jahrhunderthaus. „Da war das Elektrostahlwerk.“ Er erinnert sich, wie sein Vater auf diesem Weg sagte: ‚Du darfst nicht hingucken und schon gar nicht darüber nachdenken.‘ Das Elektrostahlwerk war gerade stillgelegt worden.
Hingeguckt hat Rittermeier dann aber doch immer sehr genau. „Was die geleistet haben!“, sagt er. „Besonders die Hochofenarbeiter, die waren speziell. Sie mussten immer wissen, woher der Wind weht.“ Denn aus den Hochöfen kam Schwefelgas. „Das hätte die Arbeiter, die da oben auf der Gichtbühne waren, umgehauen.“ Darum waren die Hochofenarbeiter auch besonders solidarisch. „Sie haben sogar während des Zweiten Weltkriegs den russischen Kriegsgefangenen von ihrem kargen Brot etwas zu essen gegeben. Weil sie zuverlässige Kollegen brauchten, falls sie mal gerettet werden mussten.“
Die Hochöfen prägten das Viertel, das wir heute Westend nennen, wie nichts anderes. „Ich sah sie von unserem Wohnzimmerfenster aus, von der Schule – immer!“, so Rittermeier. Hineinschauen ins Stahlwerk, das hinter meterhohen Mauern lag, durften allerdings nur die Stahlarbeiter. Deshalb wurde der riesige Komplex die „verbotene Stadt“ genannt. Sein größter Wunsch wäre es, seiner alten Heimat wieder Auftrieb zu geben. „Wirtschaftlich muss es wieder voran gehen.“ Er denkt an seinen Vater, der seine Arbeiter im Stahlwerk 4 anfeuerte: „Haut rein, sonst machense uns die Bude hier dicht.“
Wenig später verabschiedet er sich mit einer mahnenden Bitte: „Halten Sie die Region hoch!“
Erinnerung
Dicker schwarz-gelb-roter Rauch
verdunkelte den Himmel über der Stadt,
quoll aus grauen Schloten und Labyrinthen von Rohren
der Hochöfen und Stahlwerke,
in deren Innersten die Urgewalt von tausend Feuern tobte
Wie ein Moloch
saugte das Werk tagtäglich Tausende von Arbeitern auf,
die im Schatten der hohen Hallen unter gefahrvollen Kranlasten
von glühenden Eisenströmen und rasenden Rädern getrieben
im Schweiße ihres Angesichts ihr hartes Brot verdienten
Der Westpark erinnert an diese Zeit